Eigenbedarfskündigung – schützt hohes Alter dagegen?

    Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3.2.2021 (VIII ZR 68/19)

    Mit einer Kündigung wegen Eigenbedarf hat der Eigentümer die Möglichkeit, in seine eigene, bislang vermietete Wohnung einzuziehen bzw. eine dritte Person einziehen zu lassen. Voraussetzung ist, dass der Eigentümer selbst, ein naher Verwandter oder ein Haushaltsangehöriger den Wohnraum benötigt und dies im Kündigungsschreiben auch klar benannt wird.
    Aber gilt diese Kündigungsmöglichkeit auch im Fall sehr betagter Mieter?

    Der Bundesgerichtshof sagt in einem Urteil vom 22.Mai 2019 dazu:

    „Das hohe Alter eines Mieters begründet ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich noch keine Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB (im Anschluss an Senatsurteil vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18 ).
    Der Annahme, das hohe Lebensalter des Mieters gebiete auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters in der Regel die Fortsetzung des Mietverhältnisses, liegt eine unzulässige Kategorisierung der nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB abzuwägenden Interessen zugrunde (im Anschluss an Senatsurteil vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18 , aaO Rn. 36 f.).

     

    Keine allgemeine Fallgruppen möglich

    Allgemeine Fallgruppen, etwa ein bestimmtes Alter des Mieters oder eine bestimmte Mietdauer, in denen generell die Interessen einer Partei überwiegen, lassen sich nach Ansicht des BGH – entgegen einer teilweise bei den Instanzgerichten anzutreffenden Tendenz – nicht bilden.

     

    Alter und lange Mietdauer allein nicht ausreichend

    So werden sich etwa die Faktoren Alter und lange Mietdauer mit einer damit einhergehenden Verwurzelung im bisherigen Umfeld je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters unterschiedlich stark auswirken und rechtfertigen deshalb ohne weitere Feststellungen zu den sich daraus ergebenden Folgen im Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich nicht die Annahme einer Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB.

     

    Einwände des Mieters beachten

    Werden von dem Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels indes substantiiert ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend gemacht, haben sich die Gerichte – wie der Senat bereits mit Urteil vom 15. März 2017 (VIII ZR 270/15, NJW 2017, 1474) ausgesprochen hat – beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann.

     

    Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens

    Diese Rechtsprechung hat der Senat nunmehr dahin präzisiert, dass ein Sachverständigengutachten regelmäßig von Amts wegen einzuholen sein wird, wenn der Mieter eine zu besorgende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes durch ärztliches Attest belegt hat. Auf diese Weise ist zu klären, an welchen Erkrankungen der betroffene Mieter konkret leidet und wie sich diese auf seine Lebensweise und Autonomie sowie auf seine psychische und physische Verfassung auswirken. Dabei ist auch von Bedeutung, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen mittels Unterstützung durch das Umfeld beziehungsweise durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen. Nur eine solche Aufklärung versetzt die Gerichte in die Lage, eine angemessene Abwägung bei der Härtefallprüfung des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmen.
    Der Bundesgerichtshof hat in beiden zur Entscheidung anstehenden Fällen das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen, insbesondere zum Bestehen von Härtegründen. Da sowohl auf Seiten des Vermieters wie auf Seiten des Mieters grundrechtlich geschützte Belange (Eigentum, Gesundheit) betroffen sind, sind eine umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie eine besonders sorgfältige Abwägung erforderlich, ob im jeweiligen Einzelfall die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses diejenigen des Vermieters an dessen Beendigung überwiegen (§ 574 Abs. 1 BGB).

     

    Das Urteil des BGH vom 3. Februar 2021 (VIII ZR 68/19)

    Wie lag der Fall?

     

    Wohnung als Zweitwohnsitz benötigt

    Gestritten wurde über die Kündigung eines Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf. Die Vermieterin einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Berlin wollte während ihrer Aufenthalte in der Hauptstadt nicht mehr bei ihrem erwachsenen Sohn leben, sondern stattdessen die Eigentumswohnung nutzen, die bis dahin an eine mittlerweile verwitwete hochbetagte Frau vermietet war.
    Die 1932 geborene Mieterin lebt seit 1997 in der Wohnung. Ursprünglich teilte sie sich die Mietwohnung mit ihrem Ehemann, der mittlerweile jedoch verstorben ist. Im Juli 2015 erhielt die Frau ein Schreiben, mit dem die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zum 31.07.2016 erklärt wurde.

     

    Ehepaar macht Härtefall geltend

    Die Mieterin und ihr damals noch lebender Ehemann widersprachen der Kündigung. Ein Umzug sei ihnen in ihrem hohen Alter aufgrund ihres beeinträchtigten Gesundheitszustands, ihrer langjährigen Verwurzelung am Ort und ihrer beschränkten finanziellen Mittel nicht zumutbar. Der Fall landete vor Gericht.

     

    Landgericht macht Härtefall nur vom Alter abhängig

    Vor dem Amtsgericht sowie im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Berlin wurde die Klage der Vermieterin auf Herausgabe und Räumung abgewiesen. Das Landgericht stützte sich in seinem Urteil sogar ausschließlich auf das hohe Alter der Mieter. Gegen diese Entscheidung ging die Vermieterin in Revision.

     

    Aufhebung des Urteils durch den BGH

     

    Abwägung zwischen den Interessen obligatorisch

    Der BGH hob das Urteil auf und verwies den Fall an das Landgericht Berlin zurück. Der Gesetzgeber habe bei der Härtefallregelung nach § 574 BGB sowie § 574a BGB explizit eine Abwägung zwischen den berechtigten Interessen der Vermieterseite sowie den Interessen des Mieters vorgesehen.

     

    Urteil des Landgerichts fehlerhaft

    Das Landgericht habe dementsprechend fehlerhaft gehandelt, als es sein Urteil nur auf das Alter der Mieter gestützt hat.

     

    Eingeholtes Gutachten ist zu würdigen

    Das Landgericht Berlin muss nun erneut über den Fall entscheiden. Dabei hat der BGH das Landgericht darauf hingewiesen, dass das ursprünglich vom Amtsgericht Berlin eingeholte Sachverständigengutachten zu der Art, dem Umfang und den konkreten Auswirkungen eines Umzugs auf die Lebensführung der Mieterin im Fall des Verlusts der vertrauten Umgebung ausführlich zu würdigen sei. Ob die betagte Frau also tatsächlich ausziehen muss oder in ihrer Wohnung bleiben darf, blieb ausdrücklich offen (BGH, Urteil vom 03.02.2021 – VIII ZR 68/19).

     

     

    Was sagt der Experte?

    Haus & Grund – Fachanwalt Wolfgang Reineke kommentiert weitere Fragen zum Thema:

     

     

    Eine Prognose darüber, wie eine Entscheidung bei einer Eigenbedarfskündigung im Fall betagter Mieter lautet, ist schlechthin nicht möglich.

    Das hohe Lebensalter eines Mieters kann in Verbindung mit weiteren Umständen – im Einzelfall auch der auf einer langen Mietdauer beruhenden tiefen Verwurzelung des Mieters in seiner Umgebung – bei der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung, mithin unter Berücksichtigung der sich aus diesen Faktoren konkret für den betroffenen Mieter ergebenden Folgen eines erzwungenen Wohnungswechsels, eine Härte begründen.
    Insbesondere kann eine Härte zu bejahen sein, wenn zu den genannten Umständen (hohes Lebensalter, Verwurzelung aufgrund langer Mietdauer) Erkrankungen des Mieters hinzukommen, aufgrund derer im Falle seines Herauslösens aus der Wohnumgebung eine Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands zu erwarten steht.

    Es ist aber nicht angezeigt, das hohe Alter eines Mieters in Verbindung mit einer langen Mietdauer unabhängig von den sich aus einem erzwungenen Wohnungswechsel konkret ergebenden Folgen als Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen.

    Worauf Vermieter achten müssen:

    • Bei Kündigungsverfahren wird als Streitwert eine Jahresmiete zugrunde gelegt.
    • Wegen der rechtlichen Unsicherheit ist damit zu rechnen, dass ein Kündigungs- bzw. Räumungsverfahren über mehrere Instanzen geführt wird.
    • In den entsprechenden Fällen wird fast immer mit der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu rechnen sein.

    Rechtsschutzversicherung unverzichtbar!

    • Auch aus diesem Grund ist dringend anzuraten, dass Vermieter ein solches Verfahren nur bei Vorhandensein einer eintrittspflichtigen Rechtsschutzversicherung in die Wege leiten.
    • Diese muss allerdings schon bei Ausspruch der Kündigung vorliegen
    • zudem darf zuvor keine kündigungsrelevante Korrespondenz geführt worden sein.

     

    Der erste Gang führt deshalb zum Haus & Grund Fachanwalt bevor irgendwelche Schriftstücke gewechselt werden!

    Fachanwalt Wolfgang Reineke