Nicht belehrt über Widerrufsrecht – Vermieter muss über 10000€ zurückzahlen

    Urteil des Landgerichts Berlin vom 21.10.2020

    Oft konkurrieren hunderte Bewerber um eine angebotene Mietwohnung. Die angespannte Wohnraumsituation und die Covid-19-Pandemie haben dazu beigetragen, dass Mietverträge in der Praxis immer häufiger online oder per Postweg und auch ohne vorherige Wohnungsbesichtigung abgeschlossen werden.
    Das ist auf den ersten Blick praktisch, spart Zeit und auch Geld. Nur haben viele Vermieter nicht im Blick, dass es verbraucherschützende Widerrufsbestimmungen gibt. Wird diese missachtet, riskiert erhebliche finanzielle Einbußen.
    Das zeigt beispielshaft das LG Berlin mit seinem Urteil vom 21.10.2021 (Az. 67 S 140/21).

    Das ganze Urteil können sie hier lesen.

     

    So lag der Fall

    Eine böse Überraschung erlebte so ein Berliner Vermieter, der unstreitig Unternehmer i.S.d. § 14 BGB war und es unterließ, einen Mieter auf sein Widerrufsrecht hinzuweisen. Dieser hatte ohne vorherige Besichtigung und nur unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln am 2.1./17.1.2019 einen Mietvertrag abgeschlossen und diesen am 2.1.2020 ordnungsgemäß widerrufen. Mietzins und Nebenkostenvorauszahlung entrichtete er in dieser Zeit vertragsgemäß. Mit dem Widerruf forderte er 10.363,35 € – das war die gesamte Miete- zurück. Der Vermieter wollte mit in gleicher Höhe mit Nutzungsersatzansprüchen aufrechnen, da der Mieter ja unstreitig die Wohnung in diesem Zeitraum genutzt hatte.

     

    Amtsgericht stellt sich auf Seiten des Vermieters

    Das AG Berlin Mitte teilte die Ansicht des Vermieters, sprach dem Vermieter die Wert- und Nutzungsersatzansprüche zu und wies die Klage des Mieters ab.

    Mit der hiergegen eingelegten Berufung wendete der Mieter ein, dass dem Vermieter zu Unrecht aufrechenbare Ansprüche auf Wertersatz bis zur Ausübung des Widerrufsrechts zuerkannt worden seien. Diese seien jedenfalls dann gesetzlich ausgeschlossen, wenn der Mieter – so wie hier – nicht auf sein Widerrufsrecht hingewiesen worden sei. 

     

    Landgericht sieht die Sache anders

    Das LG Berlin indessen gab dem Mieter Recht, hob das Urteil des Amtsgerichts auf und verurteilte den Vermieter zur Rückzahlung der bis zum Widerruf geleisteten Mietzahlungen einschließlich Nebenkostenvorauszahlungen (für 12 Monate) und begründete dies wie folgt:

    Sofern – wie hier – die Mietsache vor Vertragsschluss nicht besichtigt worden ist und der Vertragsschluss unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (E-Mails, Briefe, Telemedien etc.) erfolgt, steht dem Mieter unstreitig nach § 312 Abs. 4, Abs. 3 Nr. 7 BGB i.V.m. § 312g BGB das 14-tägige Widerrufsrecht (§ 355 BGB) zu.

     

    Widerrufsfrist läuft nicht

    Versäumt der Vermieter es allerdings, den Mieter entsprechend allen gesetzlichen Anforderungen über sein Widerrufsrecht zu belehren, so beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen. Dem Mieter steht dann bis zu 12 Monaten und 14 Tagen nach Vertragsschluss ein Widerrufsrecht zu (vgl. § 356 Abs. 3 S. 2 BGB), bei dessen Ausübung der Vermieter verpflichtet ist, alle empfangenen Mietzahlungen zurückzugewähren (Mietzins und Nebenkostenvorauszahlungen).

    Soweit ist das gesetzlich geregelt und deshalb rechtlich unproblematisch.

     

    Ist Vermietung eine „Dienstleistung“?

    In der Rechtsprechung bisher ungeklärt hingegen war und ist die Frage, ob dem Vermieter in solchen Fällen ein Wert- und Nutzungsersatzanspruch zusteht. Mangels ausdrücklicher Regelung im BGB kommt laut dem Landgericht Berlin lediglich ein Wertersatzanspruch des Vermieters nach § 357 Abs. 8 S.1 BGB in Betracht. Das allerdings setzt voraus, dass die Vermietung von Wohnraum als Dienstleistung zu qualifizieren ist. Ohne auf diese entscheidende Frage einzugehen, lehnt das LG Berlin den Wertersatzanspruch ab, da der Mieter dem Vermieter Wertersatz allenfalls dann schuldet, wenn er vom Vermieter ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt (§ 357 Abs. 8 S. 1 BGB) und er sein Leistungsverlangen dem Unternehmer auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt hat (§ 357 Abs. 8 S. 3 BGB) und der Vermieter den Mieter ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht und eine etwaige Wertersatzpflicht informiert hat (§ 357 Abs. 8 S. 2 BGB).

    Hieran fehlte es bereits, so dass der Mieter als Ergebnis seines Widerspruchs, die Mietsache – abhängig vom Zeitpunkt seines Widerrufs – bis zu 13 Monaten kostenfrei nutzen konnte.

     

    Fazit

    Das Landgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da es bislang höchstrichterlich ungeklärt ist, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen der Mieter in Fällen fehlender Widerrufsbelehrung für den Zeitraum bis zum wirksamen Widerruf des Mietvertrages Wert- oder Nutzungsersatz für die Bewohnung der Mietsache an den Vermieter zu leisten hat.

    Bis zu einer gesetzlichen Regelung oder einer Entscheidung durch den Bundesgerichtshof, verbleibt für den Vermieter die Restunsicherheit darüber, ob die Überlassung von Wohnraum unter den Begriff der „Dienstleistung“ fällt, was im Hinblick auf die bestehende Belehrungspflicht zu Folgeproblemen führt.

     

    Widerrufsbelehrung ist entscheidend

    Denn belehrt der Vermieter den Mieter nicht über die Wertersatzpflicht, so kann der Vermieter auch keinen Wertersatz verlangen. Belehrt der Vermieter den Mieter dagegen über die Wertersatzpflicht und kommt ein Richter zu dem Schluss, dass die dauerhafte Überlassung von Wohnraum keine Dienstleistung i.S.d. § 357 Abs. 8 S. 1 BGB darstellt und der Mieter deshalb nicht wertersatzpflichtig ist, dann ist die Widerrufsbelehrung des Vermieters fehlerhaft, sodass der Mieter bis zu zwölf Monate und 14 Tage den Vertrag widerrufen und in diesem Zeitraum kostenlos wohnen kann.

    Da letztere Auffassung allerdings – soweit ersichtlich – kaum bis gar nicht vertreten wird, sollte der Vermieter sicherstellen, dass er den Mieter hinreichend über das Widerrufsrecht belehrt und insbesondere auch die Bestimmungen des § 357 Abs. 8 BGB einhält.

     

    Vorsicht: Widerruf eines Mietvertrags begünstigt Mieter mit kostenlosem Wohnen!

     

    Wenn ein Vermieter einen Mietvertrag unter Bedingungen abschließt, welche den gesetzlichen Regelungen über Fernabsatz unterliegen, muss er den Mieter unbedingt auf sein entsprechendes gesetzliches Widerrufsrecht hinweisen. Hat der Vermieter dies versäumt, verlängert sich die Frist zum Widerruf zu Gunsten des Mieters erheblich. Im Falle eines wirksamen Widerrufs durch den Mieter und der betroffene Vermieter muss alle bis dahin durch den Mieter geleisteten Mietzahlungen einschließlich der Nebenkostenvorauszahlungen zurückzahlen.

     

     

     

    Was sagt der Experte?

    Haus & Grund – Fachanwalt Wolfgang Reineke kommentiert weitere Fragen zum Thema:

     

    Für einen wirksamen Widerruf müssen nachfolgende Bedingungen insgesamt vorliegen:

     

    Vermieter: Unternehmer, Mieter: Verbraucher

    Der Vermieter muss Unternehmer sein, d. h. er muss mehrere Wohnungen, mindestens 2, gewerblich vermieten. Maßgebliches Kriterium, ob der Vermieter Unternehmer ist oder nicht, ist sein geschäftsmäßiges Handeln (§ 14 BGB) d. h. ein gewisser organisatorischer Mindestaufwand muss für die Verwaltung der Wohnungen notwendig sein. Der Mieter muss Verbraucher sein, d. h. die Wohnung überwiegend für private Zwecke nutzen

     

    Kein Gewerbemietvertrag

    Bei einem Gewerbemietvertrag gibt es kein Widerrufsrecht, nur bei Wohnraummietverhältnis.

     

    Per Telefon oder E-Mail abgeschlossene Mietverträge oder „Haustürgeschäfte“

    Der Widerruf ist möglich, wenn die Parteien ihn als sogenannten Fernabsatzvertrag abgeschlossen haben, d. h. über Telefon, E-Mail, SMS oder einen anderen Messenger-Dienst. Ein Rücktrittsrecht besteht zudem, wenn der Mietvertrag außerhalb der Geschäftsräume des Vermieters abgeschlossen wurde, z.B. am Arbeitsplatz des Mieters oder in seiner Wohnung oder in anderen Räumlichkeiten, z.B. Café, Restaurant.

     

    Keine Besichtigung der Wohnung vor Mietvertragsabschluss

    Die Wohnung darf zuvor vom Mieter nicht besichtigt werden, das bedeutet sämtliche vermieteten Räume einschließlich Keller und Dachböden, anderenfalls erlischt ein Widerrufsrecht.

     

    II.

    Sind die vorstehenden Voraussetzungen (I.) erfüllt, kann der Mietvertrag widerrufen werden.

     

    Frist und Form des Widerrufs

    Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Hat der Vermieter über das Widerrufsrecht nicht ordnungsgemäß belehrt, verlängert sich die Frist zum Widerruf für den Mietvertrag auf 12 Monate und 14 Tage. Innerhalb der vorgenannten Frist kann vom Mietvertrag zurückgetreten werden, auch wenn der Mieter bereits eingezogen ist.

    Der Widerruf ist an keine bestimmte Form gebunden; der Mieter muss einfach ausdrücklich mitteilen, dass er von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht und den Mietvertrag widerruft; d. h. auch telefonisch ließe sich ein Mietvertrag gegenüber dem Vermieter widerrufen.

    Es bedarf keiner Begründung für den wirksamen Widerruf.

     

    Tipp

    Es ist zwar sehr zeitsparend und verführerisch eine Wohnung „online“ zu vermieten, aber nicht nur die Gefahr von rechtlichen Fallstricken ist sehr hoch. Ebenso groß ist die Gefahr eines Fehlgriffs in der Person des Mieters. Deshalb ist ein persönlicher Eindruck von den Personen, die einziehen, fast unverzichtbar!

     

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    Fachanwalt Wolfgang Reineke