Vier-Zimmer-Wohnung mit 120m² für 19 – jährige Enkelin – „überhöhter“ Eigenbedarf?

    Urteil des LG Berlin vom 20.1.2021 – Az. 64 S 50/20

     

    Benötigt ein Vermieter die Wohnung selbst, will er in der Regel ohne größere rechtliche Hürden sein Eigentum wieder nutzen können. Das garantiert ihm Artikel 5 des Grundgesetzes. Diese so genannte Eigenbedarfskündigung gilt auch für ein für ein volljähriges Kind zur Gründung eines eigenen Hausstandes. Darüber herrscht Einigkeit.

    Streit entsteht indes immer häufiger darüber nicht nur darüber, wie die Kündigungen zu begründen sind, sondern darüber, was unter einem „angemessenen Wohnbedarf“ zu verstehen ist und erst recht darüber, ob es sich im Einzelfall wirklich um Eigenbedarf handelt oder um einen „vorgeschobenen Eigenbedarf“, um den Mieter loszuwerden.

     

    Es gibt eine kaum übersehbare Anzahl von Fällen dieser Art

    Mit der Frage eines „angemessenen Wohnbedarfs“ hatte sich das Landgericht Berlin zu befassen. Die Vermieter kündigten für ihre damals 19-jährige Tochter bzw. Enkelin eine Vierzimmerwohnung mit einer Wohnfläche von knapp 120 qm. Die gekündigten Mieter sahen darin zum einen „weit überhöhten Wohnbedarf“. Die gerade 19jährige Bedarfsperson benötige objektiv keine Vierzimmerwohnung mit einer Wohnfläche von knapp 120 m². zum anderen behaupteten sie, das Interesse der Kläger richte sich vor allem darauf, das ihnen missliebige Mietverhältnis mit der Beklagten zu beenden. Denn zwischen den Parteien sei eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten geführt worden und die Beklagten zahlten eine verhältnismäßig geringe Miete.

    Das zustände Amtsgericht sah das Mietverhältnis aufgrund der Eigenbedarfskündigung als begründet an und gab der Räumungsklage des Vermieters statt. Die Mieter legten gegen dieses Urteil fristgerecht Berufung ein.

    Das Berufungsgericht dagegen hielt zwar den Eigenbedarf der inzwischen 21-Jährigen für gegeben.

    Allerdings liege im konkreten Fall ein weit überhöhter Wohnbedarf vor, der eine Eigenbedarfskündigung nicht rechtfertigen könne. Eine Befragung der Tochter hatte ergeben, dass diese lediglich die Mitnahme eines Bettes, Schrankes und Schreibtisches aus ihrem bisherigen Kinderzimmer plane. Weitere Gedanken über die zukünftige Ausstattung der Wohnung habe sie sich noch nicht gemacht. Insgesamt werde der Eigenbedarf in diesem konkreten Fall nicht von „rechtlich billigungswerten“ Erwägungen getragen.

    Die ganze Entscheidung lesen Sie hier.

     

    Eigenbedarfskündigung wegen Studenten-WG

    Ein Vermieter wollte eine 4 Zimmer von 130 qm seinem bis dahin alleinlebenden 22-jährigen Sohn zur Verfügung stellen, der Elektrotechnik studierte. Er berief sich darauf, dass dieser mit seinem Studienfreund zusammenziehen und mit diesem eine Wohngemeinschaft gründen wollte. Die Vorinstanz sah die Eigenbedarfskündigung als rechtswidrig an und begründete dies damit, dass eine Wohnung von über 100 qm für ein studierendes Kind schlichtweg zu groß sei.

    Der Bundesgerichtshof hob diese Entscheidung mit Urteil vom 04.03.2015 – VIII ZR 166/14 auf. Die Richter vermissten hier eine Auseinandersetzung mit der konkreten Situation.

    Wichtig war vor allem, dass der studierende Sohn ausziehen und eine Wohngemeinschaft mit einem langjährigen Freund begründen wollte. Diese Möglichkeit dürfe ihm nicht einfach genommen werden. Vielmehr müsse dies bei der Ermittlung des persönlichen Bedarfes berücksichtigt werden.

    Fazit: 

    Eine Eigenbedarfskündigung sie nicht bereits deshalb unzulässig, weil das Kind des Vermieters im Grunde mit einer kleinen Wohnung oder einem Appartement auskommen könne. Auch hier darf der Vermieter großzügig sein. Kritisch wird das Ganze allerdings häufig dann, wenn ein alleinlebendes Kind eine Wohnung von über 100 qm erhalten soll. Das gilt vor allem wenn es noch eine Ausbildung absolviert und alleine dort wohnen würde. Allerdings spielen die Umstände des Einzelfalls eine wichtige Rolle. Die Situation kann z.B. dann anders ausziehen, wenn Sohn oder Tochter mit ihrem Partner zusammenziehen bzw. eine Familie gründen möchten.

     

    Das Gericht muss eine „positive“ Feststellung treffen können

    Vermag das Gericht trotz Ausschöpfung der Beweismittel nicht positiv festzustellen, dass der Vermieter aus lauteren Motiven handelt, kann dies die Abweisung der auf Eigenbedarf gestützten Räumungsklage rechtfertigen.
    LG Berlin, Urteil vom 11.05.2023 – AZ 64 S 280/21 –

    Kurz nach Erwerb einer vermieteten Dreizimmerwohnung kündigte der neue Vermieter im Jahr 2020 den Mietern wegen Eigenbedarfs mit der Begründung, er habe die Wohnung gekauft, um seine Schwestern mit Wohnraum zu versorgen. Diese seien Studentinnen und bezögen BAföG, welches nicht ausreiche, um auf dem Berliner Wohnungsmarkt eine Wohnung zu bekommen. Er fühle sich als Bruder verpflichtet, ihnen zu helfen. Das Amtsgericht Charlottenburg wies seine Räumungsklage ab, auch seine Berufung hatte keinen Erfolg.

    Zwar zweifelte das Landgericht nicht daran, dass die als Zeuginnen gehörten Schwestern des Vermieters im Falle eines Erfolgs seiner Klage wie angekündigt in die Wohnung einziehen würden. Nicht überzeugt war das Gericht hingegen davon, dass der Kläger tatsächlich aus lauteren Motiven familiärer Verbundenheit handelt und es ihm beim Kauf der Wohnung sowie der anschließenden Eigenbedarfskündigung um die Unterstützung seiner Schwestern ging.

    Das Landgericht betonte, dass es keinerlei konkrete Anhaltspunkte für einen gegen den Kläger gerichteten Verdacht hat, er handele arglistig und der geltend gemachte Eigenbedarf sei vorgeschoben. Der Vermieter habe im Rahmen seiner persönlichen Anhörung auch glaubwürdig gewirkt. Es spreche auch objektiv nichts dagegen, dass er zumindest mittelfristig einen erheblichen Teil seines Nettoeinkommens dem Unterhalt seiner Schwestern widmen wolle. Auf der anderen Seite hätten die Mieter aber das tatsächliche Vorliegen des behaupteten Eigenbedarfs bestritten und es gebe keinen Beweis für die vorgetragene Motivation des Klägers.

    Fazit:
    Bleiben „restliche Zweifel“, dann gehen sie zu Lasten des Vermieters.

     

     

     

    Was sagt der Experte?

    Haus & Grund – Fachanwalt Wolfgang Reineke kommentiert weitere Fragen zum Thema:

     

    Eigenbedarfskündigungen gehören nicht nur in Zeiten knappen Wohnraums mit zu der schwierigsten Materie im Mietrecht.

    Nicht selten, so sagen die Gerichte, werden sie mit lediglich vorgetäuschten oder konstruierten Eigenbedarfskonstellationen konfrontiert, sodass auch immer auch der Verdacht nicht von vornherein von der Hand zu weisen sei, dass eine Wohnung durch den schlüssig dargelegten Eigenbedarf zum Zwecke der Wert- und Ertragssteigerung „entmietet“ werden solle..

     

    Fazit

    Ein geltend gemachter Eigenbedarf muss stets plausibel dargelegt werden und vernünftig erscheinen. Sämtliche relevante Gründe sind bereits im Kündigungsschreiben darzustellen. Denn weitere Umstände werden nur berücksichtigt, wenn sie später entstanden sind (§ 573 Abs. 3 BGB).

    Lassen Sie rechtlich beraten. Vor Ausspruch einer Eigenbedarfskündigung ist ein Gang zum Haus & Grund Fachanwalt absolut unverzichtbar!

    Fachanwalt Wolfgang Reineke