Gerümpel und Unrat als Kündigungsgrund?

    Urteil des Amtsgericht Gießen vom 3.2.2021 (AZ  39 C 114/20)

    Eine Wohnung ist normalerweise dazu da, dass man darin wohnt. Aber was versteht man eigentlich unter dem Begriff des „Wohnens“? Und was nicht? Bei den Mietgerichten landen immer wieder Fälle, die sich mit dieser Frage beschäftigen müssen. So hatte auch das Amtsgericht Gießen mit einem derartigen Sachverhalt zu tun.

    Die Mieterin eines Einfamilienhauses hatte vor rund 30 Jahren einen Handel mit Altgegenständen und Trödel betrieben. Bis in jüngster Zeit bewahrte sie aus dieser Zeit Gegenstände auf- auf dem Dachboden, im Keller, im Treppenhaus und auch im Eingangsbereich des Hauses. Der Vermieter sah darin nur Müll und Gerümpel und forderte sie zur Entfernung auf. Die Ansammlung und Lagerung dieses Unrats empfand er als „vertragswidrigen Gebrauch des Objekts“. Sein Vorwurf: Die Gegenstände und Kartons seien im gesamten Mietobjekt abgestellt, auch im gesamten Bereich vor der Wohnungseingangstür, so dass der Zutritt zum Haus stark erschwert sei. Selbst der Kaminfeger habe sich geweigert, die Räume in diesem Zustand zu betreten. Schließlich sehe der Mietvertrag nur eine „Nutzung zu Wohnzwecken“ vor. Nach erfolgloser Abmahnung sprach er der Mieterin die Kündigung aus.

    Das Amtsgericht Gießen beurteilte den Sachverhalt allerdings anders. Es sah im Verhalten der Mieterin keinen Grund für die Beendigung des Mietverhältnisses erkannte daher den Kündigungsgrund nicht an. Im Rahmen des Mietvertrages stehe es der Mieterin frei, das Mietobjekt ihren Vorstellungen entsprechend zu nutzen und dabei nach Belieben auch Gegenstände an verschiedenen Orten abzustellen. Solange keine konkrete Gefährdungssituation entstehe, die Nachbarn sich nicht erheblich belästigt fühlten und auch die Haussubstanz nicht geschädigt werde, liege kein Grund vor, gegen die „Gerümpelansammlung“ der Mieterin mit einer Kündigung vorzugehen.

    Folgerichtig lautete die Argumentation des Gerichts:

    Die Lagerung von Gegenständen und Kartons durch die Beklagten begründe keinen Kündigungsgrund nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 oder § 543 Abs. 1 S. 1, 2 BGB. Selbst wenn davon ausgegangen werde, dass sich nicht nur im Dachgeschoss und einem der Kellerräume, sondern im gesamten Mietobjekt einschließlich der Treppe sowie vor und auf der Eingangstreppe und dem Platz vor der Wohnungseingangstüre Kartons und lose Gegenstände befinden, stelle dies allein keinen zur Kündigung rechtfertigenden Grund dar.

    Mieter kann nutzen wie er will

    Einer Mietpartei stehe frei, im Rahmen des Vertrags das angemietete Mietobjekt zu nutzen und hierbei auch Gegenstände und Kartons im Mietobjekt abzustellen.
    So sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass beispielsweise der Umstand, dass in einer Wohnung mehrere Wochen übelriechender Unrat nicht beseitigt worden sei, noch keine (grundsätzlich erforderliche) schwerwiegende, die Substanz der Mietsache gefährdende Pflichtwidrigkeit eines Mieters erkennen lasse (vgl. LG Berlin GE 1981, 33).

    Auch die bloße Ablagerung von Sperrmüll etc. ohne Beeinträchtigung der Sicherheit rechtfertigt nicht eine solche Kündigung (AG Friedberg WuM 1991, 686). Die gemietete Wohnung dürfe natürlich nicht zur „Mülldeponie“ verkommen, doch in einem bestimmten Rahmen dürfe der Mieter nach seinem Gusto wohnen.

    Das vollständige inwendige Zustellen einer Wohnung mit Erinnerungsstücken, Textilien und Altpapier rechtfertigt weder eine fristlose noch eine ordentliche Kündigung durch den Vermieter, wenn die Mietsache als solche hierdurch nicht gefährdet wird.

    Ausnahme: Es besteht eine Gefahr oder eine Gefährdung.

    Eine Ablagerung von Müll und Gerümpel rechtfertige vielmehr erst dann eine (fristlose) Kündigung, wenn entweder Mitmieter durch Gerüche belästigt werden oder die Bausubstanz konkret gefährdet ist. Selbst die Verschmutzungen der Wohnung durch menschliche Exkremente ebenso wie Unordnung rechtfertigen erst dann eine Beendigung des Mietverhältnisses, wenn entweder eine Störung des Hausfriedens vorliegt oder eine substantielle Schädigung der Mietsache oder eine besondere Gefährdungssituation heraufbeschworen wird.

    Derartige Umstände lagen zur Überzeugung des Gerichts hier indes nicht vor. Eine Störung des Hausfriedens ist angesichts der Tatsache, dass es sich bei dem Mietobjekt um ein allein von den Beklagten bewohntes Einfamilienhaus handelt, schon nicht denkbar und auch klägerseits nicht behauptet. Auch ist allein durch das behauptete „Zustellen“ des Mietobjekts durch Kartons und lose Gegenstände sowohl im Haus als auch außerhalb des Hauses weder eine substantielle Schädigung der Mietsache noch eine besondere Gefährdungssituation erkennbar.

    Das ganze Urteil ist hier zu lesen.

    Fristlose Kündigung bei Wohnungsvermüllung

    Natürlich gibt es auch Fälle, in denen eine Kündigung gerechtfertigt ist.

    Das AG München hat sogar eine fristlose Kündigung wegen eines Messie-Syndroms für gerechtfertigt gehalten. Allerdings war im dortigen Fall die Wohnung mit Unrat, leeren und angebrochenen Katzenfutterdosen und weiterem Unrat in einer Weise bedeckt, dass das Schlafzimmer nicht mehr betreten werden konnte. Außerdem waren Schimmelschäden erkennbar, auf dem vermüllten Balkon nisteten zahlreiche Tauben, der Parkettfußboden war durchnässt und mit eingetretenen Geldstücken beschädigt. Aus der Wohnung war ein unangenehmer starker Geruch auch im Treppenhaus bemerkbar, über den sich andere Mieter beschwert hatten. Vor diesem Hintergrund hat das AG München eine fristlose Kündigung als gerechtfertigt angesehen (AG München, Urteil v.18.7.2018, 416 C 5897/18; ähnlich AG Hamburg, Urteil v. 18.3.2011, 641 c 363/10).

    Entscheidungen mit ähnlichem Sacverhalt:

    • LG Berlin BeckRS 2011, 25638
    • LG Berlin GE 2015, 1599
    • Landgericht Münster – Urteil vom 16.9. 2020, 0 1 S 53/20
    • Landgericht Berlin –  Beschluss vom 19.1.2018,  66 S 230/17
    • Amtsgericht München  – Urteil  vom 18.7.2018  416 C  5897/18
    • Amtsgericht Hamburg vom 18.3.2011  641 c 363/10
    • WEG LG Hamburg vom 6.4.2016  318 – S 50/15

     

    Was sagt der Experte?

    Haus & Grund – Fachanwalt Wolfgang Reineke kommentiert weitere Fragen zum Thema:

     

    Eine Messie-Wohnung entsteht nicht spontan. In der Regel versuchen die Betroffenen ihr Problem zu verbergen, weshalb Vermieter erst spät aufmerksam werden, dass etwas in der Wohnung nicht stimmt.

    Menschen mit dem sogenannten „Messie-Syndrom“ leiden unter einer psychischen Störung, die dazu führt, dass sie wertvolle und wertlose Dinge nicht unterscheiden können. In der Folge horten sie Dinge wie alte Zeitungen und Plastikflaschen, mitunter aber auch vergammeltes Essen.

    Wenn Ihr Mieter unter dem Messie-Syndrom leidet, können Sie allein wegen der exzessiven Sammelleidenschaft noch nicht einfach den Mietvertrag kündigen, denn Mieter sind kraft Gesetzes vor Kündigungen stark geschützt. Es müssen deshalb „gewichtige“ Gründe vorliegen:

    Zum Beispiel eine Gefährdung der Mietsache oder unzumutbare Auswirkungen auf die anderen Mieter.

    Stapeln sich Zeitungen bis unter die Decke, gefährdet das nicht die Mietsubstanz. Ziehen aber vernachlässigte Haustiere und Müll Ungeziefer an, besteht eine echte Gefahr und der Mieter mit dem Messie-Syndrom verletzt seine Obhutspflicht. Dann können und sollten Sie handeln.

    Ob die Belästigungen – zum Beispiel durch Gerüche, die ins Treppenhaus dringen – unzumutbar sind, entscheidet das Gericht immer individuell.

    „Messie-Wohnung“ als Kündigungsgrund ist Abwägungssache.

    • Bei der Entscheidung werden die Fürsorgepflicht des Vermieters gegenüber den anderen Mietern und die Interessen des Mieters, dort weiter wohnen zu dürfen, gegeneinander abgewogen.
    • Alter und Mietdauer spielen dabei eine Rolle
    • Der Gesetzgeber erwartet auch besondere Rücksichtnahme bei psychischen Störungen – wie etwa dem Messie-Syndrom.

    Das können Sie tun, bevor Sie den Mietvertrag kündigen:

    • Dokumentieren Sie auf jeden Fall alle Beschwerden, die über die Messie-Wohnung eingehen, um eine Chance zu haben, den Mietvertrag kündigenzu können.
    • Machen Sie Bilder und lassen Sie sich die Berichterstattung mit Datum unterschreiben.
    • Suchen Sie zuerst das persönliche Gespräch
    • Setzen Sie dem Mieter eine Frist zur Beseitigung der unhygienischen Zustände.
    • Wenn das nicht hilft, versenden Sie eine Abmahnung.
    • Beides sollte zeitnah, also binnen zwei Wochen, nach Entstehen beziehungsweise Bekanntwerden der Störung erfolgen.
    • Sollte der Mieter mit dem Messie-Syndrom der Lage nicht mehr Herr werden, können Sie das Betreuungsgericht einschalten, das dem Mieter möglicherweise einen Betreuer zuteilt.
    • Dieser ist dann in Zukunft Ihr Ansprechpartner.

     

    Unverzichtbar:

    Suchen Sie Ihren Haus & Grund Anwalt auf! Er kann den Sachverhalt richtig einschätzen und die notwendigen Schritte in die Wege leiten.

    Fachanwalt Wolfgang Reineke