Urteil des Monats


Kein Eigenbedarf – dafür Mieterhöhung! Ist das rechtens?

Urteil des Landgerichts Berlin vom Dezember 2023, Az. 67 S 20/23

 

Ein aus ihrer Sicht schwer verständliches Urteil musste eine Berliner Vermieterin hinnehmen. Sie hatte ein langjähriges Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs gekündigt, um näher an ihrem Arbeitsplatz zu sein. Statt wie bisher als Pendlerin täglich hin und her fahren zu müssen wollte sie mit ihrem Sohn in einer in ihrem Eigentum stehenden und ihren Wohnbedürfnissen entsprechenden Wohnung in Berlin leben.

Der Mieter machte jedoch von seinem Recht Gebrauch, der Kündigung auf Grundlage der Sozialklausel zu widersprechen. Er argumentierte mit seinem Gesundheitszustand und dass die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn eine unzumutbare Härte darstellen würde, insbesondere da angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt nicht zu finden sei.

Das Gericht erkannte die Gründe der Klägerin für den geltend gemachten Eigenbedarf zwar an, sah jedoch im Vorbringen des Mieters nach Abwägung aller Umstände im Ergebnis eine für diesen „unzumutbare Härte“.

Die unzumutbare Härte sah das Gericht darin, dass der Beklagte an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer rezidivierenden depressiven Störung, einer Agoraphobie mit Panikstörung sowie einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung leide.

Für die Annahme einer unzumutbaren Härte reichte es dem Gericht aus, dass sich der Gesundheitszustand des psychisch vorerkrankten Mieters durch den Wohnungsverlust nicht lediglich unerheblich zu verschlechtern drohe. 

 

Gesundheitszustand des Mieters hat höheres Gewicht:

Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung komme der wahrscheinlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beklagten ein erhebliches Gewicht zu. Dem Erlangungsinteresse der Klägerin sei zwar ebenfalls ein beträchtliches Gewicht nicht abzusprechen, da sie nicht mehr wie bislang in einer Mietwohnung, sondern stattdessen in ihrem Eigentum und zudem zusammen mit ihrem minderjährigen Sohn leben möchte. Diese Lebensplanung sei zu respektieren, sie bleibe allerdings hinter dem Interesse des Beklagten an einem Verbleib in der Mietwohnung zurück.

Das Landgericht begründete die Ablehnung der Klage aber zusätzlich mit den vom Mieter weiter vorgetragenen Härte-Umständen. Denn dieser konnte nachweisen, dass er keine andere Wohnung finden konnte. Das Gericht gewährte ihm eine Frist von zwei Jahren.

 

Vermieterin kann Miete erhöhen:

Als „Trostpflaster“ kam das Gericht zu einer Mieterhöhung:
Da die Miete bislang deutlich unter der üblichen Marktmiete liege, habe der Vermieter dann aber das Recht, die Miete erheblich anzuheben, da der Vermieterin eine Fortsetzung zu den bisherigen Bedingungen nicht zuzumuten sei. Die dadurch bedingte Einschränkung der bisherigen Lebensführung für den Mieter sei insoweit zumutbar. Er müsse die wirtschaftlichen Nachteile hinnehmen (Az. 67 S 20/23).

Die ganze Entscheidung lesen sie hier.

 

 

Was sagt der Experte?

Haus & Grund – Fachanwalt Wolfgang Reineke kommentiert weitere Fragen zum Thema:

 

Das Urteil belegt, dass trotz Vorliegen eines berechtigten Eigenbedarfs auf Vermieterseite eine Räumungsklage abgewiesen werden kann, wenn auf Mieterseite Härteumstände vorgetragen werden, die aus Sicht des Gerichts überwiegen. Diese bestehen in der Regel im Vorbringen des Gesundheitszustands, des Alters, der Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietwohnung oder – das ist relativ neu – des sehr begrenzten Mietwohnungsmarkt, auf dem man keinen „angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen“ finden könne. Der Mieter belegte dies mit hunderten abgelehnten Bewerbungen um andere Wohnungen.

 

Immer eine Frage des Einzelfalls

All dies sollte einen Vermieter aber keinesfalls davon abhalten, einen berechtigten Eigenbedarfswunsch nicht zu verfolgen. Es ist immer eine Frage des Einzelfalls. Denn für den Mieter bedeutet es in jedem Fall, dass er nur einen Aufschub bekommen hat und weitersuchen muss. Auch sind die „Berliner Verhältnisse“ nicht ohne weiteres auf andere Gebiete übertragbar.

Unverzichtbar:

Prüfung durch den Haus & Grund Anwalt und eine Rechtsschutzversicherung

Voraussetzung für eine erfolgreiche Eigenbedarfsklage ist immer die Überprüfung der Voraussetzungen durch den Haus & Grund Anwalt und das Vorhandensein einer Rechtsschutzversicherung.

Im Berliner Beispiel wurden 2 Sachverständigengutachten eingeholt, eines über den Gesundheitszustand des Mieters und das andere zu den Verhältnissen des Berliner Wohnungsmarkts. Deren ganz erhebliche Kosten musste die Vermieterin auch übernehmen.

Rechtsschutz gibt es bei Haus & Grund ab 59 € Jahresprämie pro vermieteter Wohnung.

Fachanwalt Wolfgang Reineke

 

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Beratungsthemen in den Haus & Grund Vereinen

 

Mehr als die Hälfte aller Rechtsberatungen entfallen auf die Beratungsklassiker „Betriebskosten, inkl. Heizkosten“ und „Wohnungsmängel“. Sie sind die dominierenden Rechtsberatungsthemen.

Das dritthäufigste Beratungsthema bleiben die Mieterhöhungen auf die ortsübliche Vergleichsmiete mit einem Anstieg auf jetzt 12,8 Prozent. Hier spiegeln sich Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten mit zuletzt stark steigenden Mieten wieder.

Unter „Allgemeine Vertragsangelegenheiten“, Platz 4 der häufigsten Beratungsthemen, fallen alle Rechtsberatungen, die Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis als Hintergrund haben, sowie Beratungen im Vorfeld bzw. beim Abschluss des Mietvertrages. Das sind beispielsweise Fragen zur Mietpreisbremse, zu Staffel- oder Indexmieten, zu Wohnungssuche und Wohnungsbesichtigung, zu Wohngemeinschaften, bis hin zu Fragen, ob Tierhaltung erlaubt, die Haustür abends abgeschlossen werden muss oder wie laut gefeiert werden darf.

Mehr als jede 10. Rechtsberatung dreht sich um die Themen „Mietkaution“ und „Schönheitsreparaturen“. Meistens geht es um Fragen, ob und wann der Vermieter die Kaution nach Beendigung des Mietverhältnisses zurückzahlen muss, ob der Vermieter das Kautionsguthaben verrechnen darf, zum Beispiel mit Ersatzansprüchen wegen unterbliebener Schönheitsreparaturen.

Beratungen zur „Vermieterkündigung“ sind fast doppelt so häufig wie Beratungen zum Thema „Mieterkündigung“, typisch für die Entwicklung auf engen Wohnungsmärkten.

Der Beratungsbedarf zum Thema „Modernisierung“ lag 2018 noch bei 3,3 Prozent. Auch wenn nur rund 1 Prozent des Wohnungsbestandes 2018 modernisiert wurde, sorgen drastische Mietpreissteigerungen nach durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen für eine entsprechende Nachfrage nach Beratungen.

 

 Streitgegenstand in Mietrechtsprozessen

2018 2017 2016
1. Vertragsverletzungen 26,8 % 27,4 % 26,7 %
2. Mieterhöhung 21,3 % 16,6 % 17,3 %
3. Betriebskosten 18,1 % 19,4 % 20,9 %
4. Mietkaution 15,3 % 16,2 % 16,1 %
5. Eigenbedarf 6,2 % 5,9 % 5,2 %
6. Fristlose Kündigung 4,9 % 5,5 % 5,0 %
7. Modernisierung 1,7 % 1,8 % 1,9 %
7. Ordentliche Kündigung 1,7 % 1,5 % 1,5 %
9. Schönheitsreparaturen 0,7 % 1,0 % 0,9 %

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